Beim abendlichen Nachrichten-Check traute ich meinen Augen nicht - als ob die Regierung nicht schon genug Unheil angerichtet hat mit ihrer katastrophalen ESM-Zusage, sind wir von weiteren Verrätern umgeben, die es auch noch wagen, das höchste Gericht zu manipulieren!
Das Komplott gegen die Verfassung |
Ich hab es ja schon befürchtet, daß einige Politiker dem BVerfG in den Ohren liegen werden, aber ich bin trotzdem erschüttert, daß es gerade diese Menschen sind. Trotz aller Verlogenheit, die inzwi- schen reihenweise festzustellen ist, glaubte ich an ein Stück restliche Integrität - vielleicht geht es euch ähnlich. Aber anscheinend ist nichts davon übrig geblieben. Drei sind es, die hier unerhörte Grenzen überschreiten, und dann noch in Positio- nen, in denen sie das niemals dürften: die Bun- desjustizministerin (!) Sabine Leutheusser-Schnar- renberger, der Altkanzler Helmut Schmidt (jawohl) und - obwohl nicht wirklich geglaubt, aber allgemein befürchtet: der Bundespräsident Joachim Gauck! Sie alle versuchen, den Präsi- denten des Bundesverfassungsgerichtes Andreas Voßkuhle zu beeinflussen, der eine souve- räne Entscheidung treffen muß, als unabhängiges Verfassungsorgan.
Daß sich ein anderes Verfassungsorgan an dieser Schlammschlacht beteiligt, nämlich der Bundespräsident, kann man nicht mehr als pikant bezeichnen, sondern es ist eine namen- lose Respektlosigkeit vor der Basis unseres Grundgesetzes. Joachim Gauck in der Insze- nierung seiner Selbst-Entweihung.
Es bleibt festzustellen, daß durchaus sein kann, was nicht sein darf. Spätestens jetzt ist der neue Präsident von allem anfänglichen Zauber enttarnt, und seiner Unschuld verlustig gegangen. Daß gerade eine Justizministerin in Ausübung ihres Amtes es wagt, diese bisher heiligen Schwellen des Anstandes zu überschreiten, läßt ihre Arbeit zu einer bodenlosen Farce verkommen. Und Helmut Schmidt - ausgerechnet er, der früher der einzige Politiker mit Integrität schien, bis bekannt wurde, daß auch er mit den Bilderbergern befreundet ist - auch er ist sich nicht zu schade, sein Weisheits-Image endgültig zu ruinieren, indem er solchen Fauxpas begeht.
Ehrlich, mir reicht's. Es macht mich zornig, soviel Verrat zu sehen, in einer Zeit, wo wir Führungsqualitäten bräuchten, Menschen auf die man sich verlassen kann. Fazit: wir können uns auf niemanden mehr verlassen, außer auf uns selbst und unsere eigene Integrität. Für mich ziehe ich jetzt die Konsequenz, mich ebenfalls an der Verfassungsklage zu beteiligen.
Immerhin, scheint der Mainstream langsam aufzuwachen: diesen Artikel fand ich in der WELT, geschrieben von ihrem Chefredakteur. Er hat schon öfter Kritisches verlauten lassen, aber dieses Statement ist äußerst wichtig, und hoffentlich ein Signal für die anderen Medien, sich endlich auf die Seite des Volkes zu stellen. Bitte verbreitet diesen Artikel überall!
Auflösungserscheinung der demokratischen Ordnung
von Günther Lachmann, 3.06.12
Der Bundespräsident, die Justizministerin und Altkanzler Schmidt bedrängen die Verfassungsrichter. Gleichzeitig steht der Verfassungsschutz unter Terrorverdacht – und die Parlamente sind ohnmächtig.
Erst tat es Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel, dann tat es Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und jetzt war sich nicht einmal mehr der Grandseigneur der deutschen Politik, Altkanzler Helmut Schmidt, zu schade, die Souveränität des höchsten deutschen Gerichtes zu untergraben.
Wegen der vor dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Klagen gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) forderte er die Richter auf, sich zu einem klaren Kurs zu bekennen, berichtet "Spiegel Online".
Gerade auch für die Deutschen seien nun "Entschlusskraft und Opferbereitschaft dringend geboten", sagte der 93-Jährige in einer Rede vor der Atlantik-Brücke in Berlin. Und: "Man muss sein Herz über die Hürde werfen. Das gilt ganz gewiss auch für uns Deutsche und ganz gewiss auch für das Bundesverfassungsgericht."
Massive Form der Einflussnahme
Während Gauck und Leutheusser-Schnarrenberger den Verfassungsrichtern mehr oder weniger verklausuliert zuriefen, sie hätten den politischen Willen der Herrschenden nicht zu konterkarieren, fordert Schmidt offen ein den machtpolitischen Interessen der Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe entsprechendes Urteil ein.
Während Gauck und Leutheusser-Schnarrenberger den Verfassungsrichtern mehr oder weniger verklausuliert zuriefen, sie hätten den politischen Willen der Herrschenden nicht zu konterkarieren, fordert Schmidt offen ein den machtpolitischen Interessen der Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe entsprechendes Urteil ein.
Das ist an sich schon ein unerhörter Vorgang. In diesem historischen Augenblick jedoch, da Parlamente im Hauruck-Verfahren die Machtstatik Europas neu austarieren, indem sie unter dem Druck der Regierenden nationale Souveränitätsrechte aufgeben, da sie Schulden in Billionenhöhe vergemeinschaften und mit dem ESM die vielleicht mächtigste Finanzbehörde der Welt schaffen, ist diese massive Form der Einflussnahme auf die Hüter der Demokratie geradezu ein Anschlag auf dieselbe.
Sinkende Wahlbeteiligung und erodierende Parteien
Als wäre die Demokratie durch die noch immer sinkende Wahlbeteiligung und die erodierende Parteien nicht schon geschwächt genug. Der Bürger verharrt in tiefem Misstrauen gegenüber der Politik und spätestens seit den skandalösen Vorfällen beim Verfassungsschutz auch gegenüber den demokratischen Institutionen des Staates.
Und wer möchte es ihm verübeln? Ausgerechnet an jenem Tag, an dem der Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen die Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) übernahm, schredderten Verfassungsschützer gleich bändeweise Akten von V-Leuten, die für den Geheimdienst in der Szene operierten. Wenn der Inlandsgeheimdienst tatsächlich in den mörderischen Terror der Rechtsextremisten verstrickt sein sollte, dann ist vom Rechtsstaat, der eigentlich die Freiheit seiner Bürger und die Demokratie schützen sollte, nicht mehr viel übrig.
Inkorrekte Abstimmungsunterlagen
Und dann sind da noch die Abstimmungen über den Fiskalpakt und den ESM in Bundestag und Bundesrat. Es ist schlicht unfassbar, warum Parlamentarier und Vertreter der Länder so etwas mitmachen. Denn als sie die Abstimmungsunterlagen am 29. März das erste Mal berieten, fehlte darin glatt der komplette Teil über die Beteiligungsrechte des Bundestages! An der betreffenden Stelle fand sich nur eine Klammer mit Pünktchen.
Nicht einmal als Abgeordnete und Ländervertreter dann in freitäglichen Nachtsitzungen endgültig den folgenschweren Gesetzen zustimmten, waren die Abstimmungsunterlagen korrekt. Es fehlten die vom EU-Gipfel tags zuvor beschlossenen Änderungen. Weder die Direktzahlung von Milliardenhilfen an die Großbanken durch den ESM war darin aufgeführt, noch die vom Gipfel beschlossenen Finanzhilfe-Instrumente.
Geringschätzung gegenüber dem Parlament
Kann eine Regierung ihre Geringschätzung gegenüber dem Parlament und damit gegenüber der Demokratie noch stärker zum Ausdruck bringen? Aber es stellt sich im Gegenzug auch die Frage, wie diese Abgeordneten und Ländervertreter ihr Verhalten gegenüber den Wählern rechtfertigen wollen. Ob sie sich der Gefahr bewusst sind, die heraufzieht, wenn das Volk sich von ihnen abwendet?
Jeder der geschilderten Fälle für sich genommen zeigt bereits gravierende Schwächen im demokratischen System auf. Durch ihr zeitgleiches Auftreten können sie bereits als Auflösungserscheinungen der demokratischen Ordnung interpretiert werden.
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article107706324/Aufloesungserscheinung-der-demokratischen-Ordnung.html