Montag, 24. Januar 2011

Grundlagen der Radixdeutung

Abb. 1 - Die 4 Quadranten
Sich einem Horoskop zu nähern, erfordert viel Achtsamkeit. Es ist ein Prozeß, der fast alle Sinne fordert, und nicht nur den Verstand, der nur allzu schnell bereit ist, seine Schubladen zu öffnen und einen Planetenaspekt dort hineinzustopfen. Astrologie bietet die ganzheitliche Sichtweise eines Menschen, und das ist ein Geschenk, denn andere 3D-Disziplinen können das nicht. Insofern ist Astrologie eine 5D-Betrach-tungsweise, weil es sich über die horizontale und vertikale Betrachtung hinaushebt. Für mich ist ein Horoskop ein Ganzes, dem ich mich kontemplativ und intuitiv nähere. Es ist wie ein Mandala, einzigartig und doch in sich vollkommen, und es kann erspürt und gefühlt werden – dann sind wir auf gutem Wege, den Menschen dahinter zu erfassen.

Es gibt sehr viele Deutungsmethoden und astrologische Schulen, die unterschiedlich vorgehen, letztendlich aber zu einem gleichen Ergebnis kommen müssen. Dies ist jedoch nicht immer der Fall, und das hängt sicher auch vom jeweils Deutenden ab, denn da gibt es das Problem, daß die eigene Sichtweise oftmals abfärbt. So ist es erforderlich, sich dessen bewußt zu sein, sich selbst zurückzunehmen und sich nur auf die einzigartige Persönlichkeit zu konzentrieren, die man erforschen möchte. Von Vorteil ist auch, die Denkweise des Astrologen zu kennen, den man konsultiert – vor allem, wenn er als Lehrer fungieren soll. (*_*) Deshalb sage ich euch auch an dieser Stelle, wie mein Denken 'gestrickt' ist: Merkur im Steinbock in 6, Konjunktion Chiron, Opposition Uranus in 12, Trigon Jupiter in 10, Sextil Venus und Mars in 9.

Die Zugehörigkeiten von Planeten, Zeichen und Häusern (Abb. 1) sollte man schon auswendig lernen; das sind die Grundlagen, die ich hier voraussetze, und dafür gibt es viele gute Literatur. Weiter ist wichtig, die Zuordnung der Zeichen zu den Elementen, der Urqualität, des Temperamentes, der Polarität und der Spannung zu kennen, siehe Abb. 2. Soweit ausgerüstet, können wir uns der eigentlichen Deutungsarbeit widmen.

Abb. 2: Die Elemente und Qualitäten

Herrscher von X in Y
Dies halte ich für die beste Methode, die man unbedingt beherrschen sollte. Wie ihr schon oft gesehen habt, wende ich sie ständig an. Sie geht davon aus, daß ein Planet in einem – Venus und Merkur in 2 – bestimmten Zeichen herrscht, dort ist er quasi zuhause, in seinem eigenen Reich, und steht deshalb stark. In anderen Zeichen kann er dann im 'Exil' sein (gegenüberliegendes Zeichen), oder in 'befreundeten Ländern' (gleiches Element) und steht dort 'erhöht'. Diese Methode zeigt also, wohin ein Herrscher 'auswandert', und man deutet dazu auch die Hausherrscher. Wenn man ein ganzes Radix so betrachtet, entsteht eine 'Dominantenkette', und die erarbeiten wir uns an einem Beispiel. Damit wir uns aber nicht verzetteln, brauchen wir noch einen roten Faden, an dem wir uns orientieren können:

AC, Herrscher von 1, Sonne, MC:  Anlage – Verwirklichung – Ergebnis
Diese Vorgehensweise ist eine grundsätzliche Richtschnur, an der man sich gut orientieren kann. Der AC und das 1. Haus sind die Wesensanlagen, mit denen man in die Welt kommt. Herrscher von 1 zeigt, wohin sich die Anlage bewegt, und wie sie zum Ausdruck kommen möchte. Der nächste Schritt ist die Position der Sonne; sie sagt, auf welche Weise (Zeichen) sie die Anlage verwirklicht, und in welchem Lebensbereich (Haus). Die Sonne ist zwar der 'Chef', aber sie führt die Wesensanlage nur aus. Wenn wir dies erfaßt haben, brauchen wir noch das Ergebnis, das MC und den Herrscher des 10. Hauses. Das Zeichen am MC gibt an, wohin sich die Anlage entwickeln soll, welche Eigenschaft noch zu integrieren ist. Der Herrscher von 10 zeigt dann, in welchem Bereich (Haus) sich das wie (Zeichen) auswirken soll.

Christian Morgenstern
Wir sehen in diesem Beispiel eine Wesensanlage AC Zwilling, mit Merkur in 12: sein Standort ist also nicht die reale Welt, sondern das Transzendente, die spirituelle Welt, und darüber soll der Merkur etwas berichten. Die Sonne steht ebenfalls in 12, er soll sich auch dort verwirklichen und dort seine Sicherheit finden (Stier). Ebenso ist zu sehen, daß alle Herrscher des 2. Quadranten in 12 sind: Sonne H4, Merkur H5 und Pluto H6; das bedeutet, daß er sein Empfinden(4), den seelischen Ausdruck (5) und die seelische Verarbeitung (6) zuerst verdrängen mußte (als Kind) und später wieder hervorholen mußte. Er wird ein starkes Gefühl dafür gehabt haben, was alles nicht wahrgenommen wird in der realen Welt, und was die Menschen verdrängen und nicht sehen wollen – das muß ein starker Schmerz gewesen sein. Mit dieser Position in 12 war er mit Sicherheit unverstanden. Das 12. Haus wird von Venus beherrscht, die am AC steht; dies ist die einzige Möglichkeit, seine reiche Bilderwelt aus 12 herauszuholen: über die Liebe, und einfach Liebe zu sein. Der Mars in 5 kommt aus 11 und ist dort sehr schöpferisch, mit Liebe zum Detail (Jungfrau); trägt er doch die göttliche Freiheit in sich (Neptun in 11). Der Mond in 6 möchte sich gern in der Welt wohlfühlen, aber er wird von Pluto beherrscht – so konnte er sich wahrscheinlich nur anpassen und im Stillen wirken. Das Ergebnis ist das MC im Wassermann und Uranus in 2: das Ziel ist die Freiheit von allen äußeren Zwängen; dafür darf er aber keiner Gemeinschaft zugehörig sein; er würde aus jeder herausfliegen. Und das ist auch folgerichtig, um sein Potential zu schützen, darf er nicht innerhalb der 'Herde' sein. 
 
Abb. 3: Dominantenkette

Schauen wir uns nun seine Dominantenkette an, es ist die der Zeichen, nicht der Häuser. Die Venus beherrscht Sonne und Pluto (weil sie im Stier sind), wie auch Merkur. Doch Merkur beherrscht auch die Venus (weil im Zwilling), und so haben wir hier einen Fall von Rezeption, weil sie sich gegenseitig beherrschen. In der Zeichnung ist zu sehen, wie man es sich übersichtlich darstellt (Abb. 3). Merkur beherrscht auch Mars (Jungfrau) und Jupiter (Zwilling). Weiter ist zu sehen, daß dann Mars den Neptun beherrscht (Widder), Jupiter beherrscht den Mond (Schütze) und der Mond beherrscht Uranus. So kann man sehen, daß Venus und Merkur das Gesamtgeschehen steuern. Auffällig ist, daß Saturn außerhalb der Kette ganz für sich allein steht dort im Steinbock; in 8 als H8 und H9 ist es seine Aufgabe, als Lehrer und Orientierer Klarheit ins Bewußtsein aller zu bringen. Die Vorherrschaft von Venus und Merkur jedoch hat sich in Morgensterns Werken ausgedrückt, als Dichter, der die Wahrheit der Liebe erkannt hat. In diesem Zitat kommt dies besonders schön zum Ausdruck:

„Ich meine, es müßte einmal ein sehr großer Schmerz
über die Menschen kommen, wenn sie erkennen,
daß sie sich nicht geliebt haben,
wie sie sich hätten lieben können.“

Christian Morgenstern